EU dereguliert neue Gentechnik: Was es für Österreich heißt

Redaktion

Am 15.12.2025 sorgt die EU-Entscheidung zur Deregulierung neuer Gentechnik für heftige Debatten in Österreich. Landwirtschaft, Handel und Konsumentinnen und Konsumenten blicken auf eine Weichenstellung, deren Folgen erst nach und nach sichtbar werden. Aus St. Leonhard am Hornerwald meldet sich das Saatgutunternehmen ReinSaat mit deutlicher Kritik zu Wort und verweist auf Transparenz, Nachvollziehbarkeit und das Vorsorgeprinzip als Grundpfeiler einer zukunftsfähigen Landwirtschaft. Was bedeutet diese Entwicklung für Bio-Betriebe, Züchterinnen und Züchter, für die Wahlfreiheit im Supermarktregal und für die Rechtslage in Österreich?

Deregulierung neuer Gentechnik: Bedeutung für Österreich

Die Entscheidung auf EU-Ebene, neue Gentechniken in Teilen zu deregulieren, markiert einen Wendepunkt. Für Österreich ist der Bezug besonders stark: Das Land gilt seit Jahren als Vorreiter beim Biolandbau, viele Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe arbeiten bewusst gentechnikfrei. Die Stellungnahme von ReinSaat macht klar, dass sich die Branche um Wahlfreiheit, die Integrität gentechnikfreier Wertschöpfungsketten und die Absicherung einer vielfältigen Züchtungslandschaft sorgt. Gleichzeitig stellen sich rechtliche, technische und wirtschaftliche Fragen: Wie werden Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnung und Haftung künftig gehandhabt? Welche Spielräume bleiben den Mitgliedstaaten? Und wie reagieren Handel und Konsumentinnen und Konsumenten in Österreich?

Begriffe einfach erklärt: neue Gentechnik (NGT)

Unter neuer Gentechnik (NGT) werden Verfahren zusammengefasst, mit denen das Erbgut von Pflanzen gezielt verändert werden kann, ohne notwendigerweise artfremde Gene einzubauen. Häufig genannt wird CRISPR/Cas, eine Art molekulare Schere, mit der DNA sehr präzise geschnitten und verändert werden kann. Im Unterschied zur klassischen Gentechnik, bei der Gene aus anderen Organismen eingefügt werden, zielt NGT oft auf kleinere Veränderungen ab, die auch durch natürliche Mutationen entstehen könnten. Befürworterinnen und Befürworter betonen Schnelligkeit und Zielgenauigkeit, Kritikerinnen und Kritiker verweisen auf offene Fragen zu Nachweisbarkeit, Umweltfolgen und Kennzeichnung. Für die Regulierung ist entscheidend, ob NGT-Pflanzen als gentechnisch verändert gelten oder in Kategorien fallen, die weniger strenge Anforderungen auslösen.

Begriffe einfach erklärt: Deregulierung

Deregulierung bedeutet, dass bisher geltende rechtliche Anforderungen gelockert oder aufgehoben werden. Im Kontext NGT kann dies heißen, dass bestimmte Pflanzen nicht mehr den vollen Prüfschritten und Kennzeichnungspflichten der klassischen Gentechnik unterliegen. Dadurch kann der Marktzugang beschleunigt und die Entwicklungskosten gesenkt werden. Gleichzeitig entstehen Fragen zur Kontrolle: Wer prüft, ob Veränderungen tatsächlich geringfügig sind? Wie lässt sich sicherstellen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher informiert entscheiden? Und wie können Bio-Betriebe ihre Produktionsketten vor ungewollter Vermischung schützen? Deregulierung ist somit kein vollständiges Wegfallen von Regeln, sondern eine Verschiebung des Schutzniveaus und der Prüfmodalitäten.

Begriffe einfach erklärt: Vorsorgeprinzip

Das Vorsorgeprinzip ist ein Grundsatz des europäischen Umwelt- und Verbraucherschutzrechts. Es besagt, dass bei wissenschaftlicher Unsicherheit über potenzielle Risiken präventiv gehandelt werden darf oder muss, um mögliche Schäden für Mensch und Umwelt zu verhindern. Im Bereich der Agrarbiotechnologie heißt das: Wenn unklar ist, ob eine neue Züchtungsmethode langfristige Auswirkungen auf Ökosysteme, Biodiversität oder Gesundheit hat, können strengere Prüfungen, Auflagen oder Verbote gerechtfertigt sein. Kritikerinnen und Kritiker der Deregulierung befürchten, dass mit gelockerten Regeln die Möglichkeit schwindet, dieses Prinzip konsequent anzuwenden, weil Beweislasten, Prüfverfahren oder Kennzeichnungspflichten reduziert werden.

Begriffe einfach erklärt: samenfeste Sorten

Samenfeste Sorten sind Pflanzen, deren Nachkommen die Eigenschaften der Mutterpflanze zuverlässig weitergeben. Bäuerinnen und Bauern können das Saatgut also aus der eigenen Ernte gewinnen und im nächsten Jahr wieder aussäen. Für die Biodiversität, die regionale Anpassung und die Unabhängigkeit kleiner und mittlerer Betriebe ist das zentral. Im Gegensatz dazu stehen Hybridsorten, bei denen die gewünschte Leistung oft nur in der ersten Generation gesichert ist. Saatgut aus Hybriden eignet sich meist nicht zur sortengleichen Weitervermehrung. Unternehmen wie ReinSaat setzen auf samenfeste, biologisch und biodynamisch gezüchtete Sorten, um Vielfalt, Unabhängigkeit und regionale Qualität zu stärken.

Begriffe einfach erklärt: Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung

Rückverfolgbarkeit meint die lückenlose Dokumentation entlang der Lieferkette: Wo wurde eine Pflanze gezüchtet, welches Saatgut verwendet, wie verarbeitet und transportiert? Kennzeichnung informiert Konsumentinnen und Konsumenten, ob ein Lebensmittel gentechnisch verändert ist. In der EU galt für klassische Gentechnik eine Kennzeichnungspflicht, ergänzt durch eine Toleranzschwelle für zufällige oder technisch unvermeidbare Beimischungen. Bei NGT stellt sich die praktische Frage: Wie lassen sich einzelne Veränderungen zuverlässig nachweisen, wenn keine artfremden Gene eingebaut sind? Die technische Nachweisbarkeit wird zum Dreh- und Angelpunkt jeder wirksamen Kontrolle und damit auch für die Glaubwürdigkeit von Siegeln wie Bio und gentechnikfrei.

Begriffe einfach erklärt: dezentrale, resiliente Agrarstruktur

Eine dezentrale, resiliente Agrarstruktur setzt auf viele, regional verankerte Betriebe, vielfältige Kulturen, kurze Wege und robuste Wertschöpfungsketten. Resilienz beschreibt die Fähigkeit eines Systems, Schocks wie Preisschwankungen, Wetterextreme oder Marktausfälle zu absorbieren und sich anzupassen. Im Saatgutbereich bedeutet das: Vielfalt an Züchtungsbetrieben, regionale Anpassung der Sorten, Kooperation zwischen Züchterinnen und Züchtern, Verarbeitern sowie Händlerinnen und Händlern. Befürwortet wird diese Struktur besonders von Akteuren, die Biodiversität und regionale Ernährungssouveränität stärken wollen. Zentral ist die Frage, ob deregulierte NGT den Markt zugunsten weniger großer Anbieter konzentrieren oder ob sie auch kleineren Züchtungen Zugang zu Werkzeugen und Märkten eröffnen.

Historische Entwicklung: Wie EU-Recht Gentechnik prägt

Seit Anfang der 2000er-Jahre bestimmt in der EU ein klarer Rechtsrahmen den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen. Mit der Richtlinie 2001/18/EG zur absichtlichen Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen und der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 über gentechnisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel wurden Zulassungsverfahren, Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung etabliert. Das Vorsorgeprinzip wurde als Leitplanke verankert. Österreich verfolgte parallel eine politisch und gesellschaftlich breit abgestützte Linie: Gentechnik auf Feldern war unpopulär, die Bio-Landwirtschaft gewann an Bedeutung, Handelsketten setzten vielfach auf gentechnikfreie Sortimente. Das führte zu hohen Akzeptanzwerten für Bio-Label und zu großen Investitionen in gentechnikfreie Lieferketten.

Mit dem Aufkommen neuer Gentechniken wie CRISPR/Cas änderte sich die Debatte. Lange war strittig, ob NGT den gleichen strengen Regeln wie klassische Gentechnik unterliegen sollen. Nach juristischen Auseinandersetzungen und wissenschaftlichen Gutachten entstand eine politische Dynamik, NGT differenzierter zu bewerten. Befürworterinnen und Befürworter argumentierten mit Effizienz, Nachhaltigkeitszielen, Klimaanpassung und geringeren Pflanzenschutzmitteln. Kritikerinnen und Kritiker mahnten, dass grundlegende Fragen zur Nachweisbarkeit, zu Haftung und zu Koexistenz zwischen Bio, konventionell und NGT-Pflanzen ungelöst seien. Die jüngste Entscheidung zur Deregulierung bestimmter NGT-Kategorien ist das Ergebnis dieser jahrelangen Diskussionen und wird nun in den Mitgliedstaaten, darunter Österreich, konkret umgesetzt.

Wer die Rechtsgrundlagen im Detail nachlesen möchte, findet die einschlägigen EU-Dokumente auf EUR-Lex, etwa die Richtlinie 2001/18/EG unter diesem Link sowie die Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 unter diesem Link. Welche Änderungen die aktuelle NGT-Entscheidung auf die praktische Anwendung dieser Regelwerke hat, hängt davon ab, wie Übergangs- und Detailregeln in den kommenden Monaten ausgestaltet werden.

Kontext Österreich: Bio-Vorreiter und gentechnikfreie Lieferketten

Österreich positioniert sich seit Jahren als Bio-Vorreiter. Ein erheblicher Anteil der landwirtschaftlichen Fläche wird biologisch bewirtschaftet, in einzelnen Regionen sind Bio-Betriebe besonders stark vertreten. Handelsketten werben mit gentechnikfreien Sortimentsbausteinen, und die Gastronomie nutzt heimische Bio-Zutaten als Qualitätsmerkmal. In diesem Umfeld sind Züchtungsunternehmen wie ReinSaat entstanden, die samenfeste, gentechnikfreie Sorten entwickeln und eng mit Bio-Bäuerinnen und -Bauern zusammenarbeiten. Die Entscheidung zur Deregulierung neuer Gentechnik trifft also auf ein Ökosystem, das hohe Erwartungen an Transparenz, Dokumentation und klare Kennzeichnung hat.

ReinSaat betont in der eigenen Stellungnahme, dass Transparenz, Nachvollziehbarkeit und das Vorsorgeprinzip zentrale Werte seien, die durch eine Deregulierung ins Wanken geraten könnten. Die Geschäftsführerin und Pflanzenzüchterin Reinhild Frech-Emmelmann sieht die Gefahr, dass politische Entscheidungen an Bedürfnissen von Bürgerinnen und Bürgern sowie kleinen und mittleren Betrieben vorbeigehen. Daraus leitet das Unternehmen den Anspruch ab, weiterhin konsequent auf gentechnikfreie, samenfeste Sorten zu setzen und gemeinsam mit Partnerbetrieben eine dezentrale, resiliente Agrarstruktur zu stärken.

Zahlen und Fakten: Einordnung ohne Spekulation

Mehrere Eckpunkte sind für die Einordnung wichtig:

  • Österreich weist im EU-Vergleich einen sehr hohen Anteil biologisch bewirtschafteter Flächen auf. Dieser liegt seit Jahren bei etwa einem Viertel der Agrarfläche. Hinweise und Daten stellt etwa Statistik Austria zur Verfügung.
  • In der EU galt bei klassischer Gentechnik eine Kennzeichnungspflicht, ergänzt durch eine Toleranzschwelle von 0,9 Prozent für unbeabsichtigte, technisch nicht vermeidbare Beimischungen. Diese Schwelle ist für die Praxis entscheidend, weil sie den Aufwand für Trennung und Kontrolle mitbestimmt.
  • Der Anteil gentechnikfreier Lebensmittel in österreichischen Supermärkten ist seit Jahren hoch, weil große Ketten entsprechende Eigenmarken aufgebaut haben. Diese Entwicklung stützt den heimischen Bio-Sektor und gentechnikfreie Wertschöpfungsketten.

Wie sich diese Kennzahlen unter dem Eindruck der Deregulierung neuer Gentechnik verändern, hängt davon ab, ob und wie Kennzeichnung, Nachweisbarkeit und Rückverfolgbarkeit angepasst werden. Entscheidend ist auch, ob der Handel in Österreich eigenständige NGT-freie Sortimentsrichtlinien fortführt oder erweitert. Je klarer die Regeln, desto leichter lässt sich die Glaubwürdigkeit der Labels erhalten.

Vergleich: Bundesländer, Deutschland, Schweiz

Österreichs Bundesländer unterscheiden sich in Struktur und Schwerpunktsetzung: In alpinen Regionen prägen kleinere und mittlere Betriebe, Grünlandwirtschaft und Milcherzeugung die Landschaft, während in östlichen Landesteilen stärker Ackerbau dominiert. Diese Strukturvielfalt hat den Bio-Anteil in manchen Regionen besonders wachsen lassen. Für die Debatte um neue Gentechnik bedeutet das: Der Schutz gentechnikfreier Lieferketten ist in Regionen mit hohem Bio-Anteil besonders sensibel, weil Vermischungen unmittelbare wirtschaftliche Folgen für Betriebe und Verarbeiterinnen und Verarbeiter haben können. Gleichzeitig sehen Ackerbauregionen potenzielle Chancen in neuen Züchtungsmethoden, etwa zur Anpassung an Trockenstress. Beide Perspektiven treffen in der Bundesländer-Debatte aufeinander und verlangen gut abgestimmte Koexistenzregeln.

Deutschland wird die EU-Entscheidung ebenfalls umsetzen. Die Debatte ist dort ähnlich polarisiert: Ein Teil der Branche erwartet Innovation für Pflanzenbau und Züchtung, andere warnen vor Risiken für Bio-Siegel und für die Wahlfreiheit. Welche Spielräume der nationale Gesetzgeber bei Kontrollen und Marktaufsicht ausschöpft, wird für Produzentinnen, Produzenten und Handel relevant sein. Auch hier gilt: Ohne praktikable Nachweisverfahren drohen Konflikte, etwa in der Haftungsfrage bei Vermischungen.

Die Schweiz hat eigenständige Regeln und war lange durch ein Gentechnik-Moratorium geprägt, das mehrfach verlängert wurde. Die Diskussion um NGT ist dort differenziert und richtet sich stark nach dem Nutzen-Risiko-Verhältnis sowie nach der Frage, wie eindeutig sich Veränderungen identifizieren lassen. Im Ergebnis ist die Schweiz für Österreich ein interessanter Referenzfall: Sie zeigt, wie stark politische Kultur, Konsumentenerwartungen und die Rolle des Biolandbaus Regulierung prägen können, selbst wenn internationale Entwicklungen in Richtung Liberalisierung deuten.

Auswirkungen auf Bürgerinnen und Bürger: konkrete Beispiele

Die Entscheidung ist kein abstraktes Rechtsdetail. Sie wirkt im Alltag spürbar:

  • Kaufentscheidung im Supermarkt: Wenn bestimmte NGT-Pflanzen oder ihre Derivate nicht kennzeichnungspflichtig sind, kann die Information am Regal knapper ausfallen. Für Konsumentinnen und Konsumenten, die gezielt gentechnikfrei einkaufen, wird das Siegel- und Markenvertrauen noch wichtiger.
  • Bio-Betriebe und Zertifizierung: Bio-Richtlinien schließen gentechnische Verfahren aus. Für Bio-Bäuerinnen und -Bauern steigt der Aufwand, Vermischung zu vermeiden und Lieferketten zu dokumentieren, wenn NGT breiter verbreitet werden.
  • Haftung bei Vermischung: Kommt es zu einer ungewollten NGT-Beimischung in einer gentechnikfreien Lieferkette, stellt sich die Frage nach Nachweis, Verursacherin oder Verursacher und Regulierung der Schadenersatzpflicht. Je klarer die Regeln, desto weniger Rechtsstreit.
  • Vielfalt im Gartenbau: Hobbygärtnerinnen und Hobbygärtner sowie Direktvermarkterinnen und Direktvermarkter schätzen samenfeste Sorten wegen Nachbaus und regionaler Anpassung. Die Marktdynamik zugunsten NGT könnte die Sichtbarkeit traditioneller Sorten beeinflussen, wenn Sortimente umgestellt werden.

Diese Beispiele zeigen: Das Thema berührt mehr als Forschungslabore. Es betrifft Haushaltsbudgets, Hofplanungen und die Glaubwürdigkeit von Labels. Unternehmen wie ReinSaat argumentieren, dass Vielfalt, Unabhängigkeit und die Bewahrung genetischer Ressourcen nicht verhandelbar seien, weil sie als Basis einer enkeltauglichen Landwirtschaft gelten. Der Begriff meint, dass heutige Entscheidungen die Wahlmöglichkeiten kommender Generationen nicht einschränken sollen.

Wirtschaftliche Dimension: Saatgut, Handel, Innovation

Ökonomisch betrachtet verschiebt Deregulierung die Kosten- und Zeitstruktur in der Züchtung. Wenn bestimmte NGT-Pflanzen schnelleren Marktzugang erhalten, kann das Innovation beschleunigen. Zugleich besteht das Risiko, dass technische, rechtliche und analytische Anforderungen (z. B. für Nachweise) kleinere Züchtungsbetriebe asymmetrisch belasten. Je teurer unabhängige Tests und Zertifizierungen werden, desto eher profitieren große Anbieterinnen und Anbieter. Das ist der Kern der Befürchtung, die ReinSaat äußert: Eine Öffnung für NGT ohne robuste Transparenz- und Nachweisregeln könnte Märkte zentralisieren, Vielfalt verringern und regionale Züchtung schwächen.

Für den Handel stellt sich die Sortimentsfrage. Österreichische Ketten haben über Jahre erfolgreich gentechnikfreie und Bio-Eigenmarken aufgebaut. In einer Situation diffuser Kennzeichnung könnten sie freiwillige NGT-freie Selbstverpflichtungen aussprechen, um Vertrauen zu sichern. Das erhöht allerdings die internen Kosten für Audits und Lieferantenauswahl. Dort, wo internationale Beschaffung überwiegt, dürfte die Trennung komplexer werden als in regionalen Wertschöpfungsketten.

Rechtlicher Rahmen: was sicher bleibt, was sich ändern kann

Bestimmte Grundsätze des EU-Rechts wie Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Marktaufsicht bleiben auch bei Deregulierung relevant. Die Frage ist, in welchen Kategorien NGT-Produkte landen und welche Auflagen daran gebunden sind. Wichtig ist zudem, wie die EU die Nachweisproblematik adressiert. Wenn Veränderungen analytisch nicht oder nur schwer abgrenzbar sind, geraten klassische Kontrollketten unter Druck. Mitgliedstaaten wie Österreich können ergänzende Maßnahmen in Marktaufsicht und Kontrolle prüfen, solange diese EU-Recht nicht konterkarieren. Rechtssicherheit entsteht aus klaren Definitionen, robusten Methoden und transparenter Kommunikation.

Analyse der Risiken und Chancen: nüchterne Abwägung

Chancen entstehen dort, wo Züchtung schneller auf Klimastress, neue Schaderreger oder Ernährungs- und Gesundheitsziele reagieren kann. Sorten mit besserer Widerstandsfähigkeit, mit verbesserter Nährstoffnutzung oder mit Qualitätsmerkmalen könnten landwirtschaftliche Systeme stabilisieren. Risiken liegen in unbeabsichtigten Effekten auf Ökosysteme, in der Verringerung genetischer Vielfalt, in Abhängigkeiten von proprietären Technologien sowie in Vertrauensverlust, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher sich nicht informiert fühlen. Eine seriöse Bewertung kommt ohne skandalisierende oder verharmlosende Zuspitzungen aus: Entscheidend ist die konkrete Ausgestaltung von Prüfungen, Kontrollen, Kennzeichnung und Haftung.

Stimmen aus der Praxis: ReinSaat

ReinSaat bringt die Perspektive eines österreichischen, biologisch-dynamisch wirtschaftenden Saatgutunternehmens ein. Die Geschäftsführung betont, dass Vielfalt, Unabhängigkeit und die Bewahrung natürlicher genetischer Ressourcen Grundpfeiler der eigenen Arbeit seien. Man werde weiterhin konsequent an gentechnikfreien, samenfesten Sorten arbeiten und mit Bio-Bäuerinnen und -Bauern, Verarbeitungsbetrieben, Wiederverkäuferinnen und Wiederverkäufern sowie Konsumentinnen und Konsumenten kooperieren, die auf Transparenz und Qualität setzen. Dabei versteht das Unternehmen die jüngste EU-Entscheidung als politisches Signal, das besondere Sorgfalt erfordert, um Wahlfreiheit und Vertrauen im Markt aufrechtzuerhalten. Die vollständige Stellungnahme ist über die OTS-Aussendung abrufbar.

Zukunftsperspektive: Wie es jetzt weitergeht

In den kommenden Monaten wird sich zeigen, wie die EU-Entscheidung in Verordnungen, Leitlinien und nationale Vollzugsregeln übersetzt wird. Für Österreich empfiehlt sich ein dreistufiger Ansatz: Erstens Klärung der Nachweisverfahren, damit Marktaufsicht, Bio-Zertifizierung und gentechnikfreie Siegel praktikabel bleiben. Zweitens eindeutige, verständliche Kommunikation gegenüber Konsumentinnen und Konsumenten, damit die Wahlfreiheit nicht an Informationsasymmetrien scheitert. Drittens gut austarierte Koexistenzregeln zwischen Bio, konventioneller Produktion und NGT-Anwendungen, um Konflikte um Haftung, Abstände und Reinigung von Erntetechnik zu minimieren.

Der Handel könnte freiwillige Standards definieren, die über rechtliche Mindestvorgaben hinausgehen. Gleichzeitig könnten Förderprogramme und Forschungsgelder die unabhängige Züchtung stärken, insbesondere für samenfeste Sorten, regionale Anpassungen und Biodiversität. Wenn NGT in bestimmten Bereichen Mehrwerte liefern, lassen sich Pilotprojekte mit strenger Begleitung und transparenter Dokumentation denken. So kann das System lernfähig bleiben, ohne das Vorsorgeprinzip preiszugeben. Das Ziel für Österreich sollte sein, Innovationschancen zu nutzen, ohne die starke Position bei Bio und gentechnikfreien Wertschöpfungsketten zu gefährden.

Praktische Fragen und Antworten

  • Bleibt Bio gentechnikfrei? Ja, die Bio-Prinzipien schließen gentechnische Verfahren aus. Herausforderung bleibt die Vermeidung unbeabsichtigter Beimischungen.
  • Wird alles neu etikettiert? Das hängt davon ab, in welche Kategorien NGT-Produkte fallen und welche Kennzeichnungsvorgaben die EU konkret macht.
  • Wer haftet bei Vermischungen? Das ist eine juristische Abgrenzungsfrage, die klare Regeln und praktikable Nachweisverfahren voraussetzt.
  • Was bedeutet das für kleine Züchtungen? Ohne flächentaugliche Nachweistools und faire Prüfkosten besteht das Risiko von Marktverzerrungen.

Quellen und weiterführende Informationen

  • OTS-Presseaussendung von ReinSaat: zur Quelle
  • EU-Richtlinie 2001/18/EG: EUR-Lex
  • EU-Verordnung (EG) Nr. 1829/2003: EUR-Lex
  • Statistik Austria, Hintergrund zu Landwirtschaft und Bio: statistik.at

Fazit: Transparenz und Verantwortung als Leitplanken

Die Deregulierung neuer Gentechnik ist eine Weichenstellung, die Österreichs Agrar- und Lebensmittelwirtschaft direkt betrifft. Für ein Land mit hohem Bio-Anteil, starken gentechnikfreien Lieferketten und hoher Konsumentenerwartung an klare Information kommt es nun besonders auf Transparenz, Nachweisbarkeit und verlässliche Regeln an. Unternehmen wie ReinSaat erinnern daran, dass Vielfalt, Unabhängigkeit und die Bewahrung genetischer Ressourcen als Grundlagen einer enkeltauglichen Landwirtschaft gelten. Damit diese Werte Bestand haben, müssen Politik, Verwaltung und Wirtschaft die Umsetzung sorgfältig gestalten.

Für Leserinnen und Leser heißt das: Informiert bleiben, Labels bewusst prüfen und den Dialog mit Produzentinnen und Produzenten suchen. Für Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger heißt es: Nachweisverfahren stärken, Koexistenz fair regeln, Kommunikation vereinfachen. Wer tiefer einsteigen möchte, findet über die verlinkten Quellen rechtliche Hintergründe und die Position der österreichischen Saatgutwirtschaft. Welche Gestalt die neue Gentechnik in Österreich annimmt, entscheidet sich nicht in einer einzigen Verordnung, sondern in der Summe praktischer Regeln, an denen jetzt gearbeitet wird.