Wien (PK) – In einer Aussprache mit Abgeordneten zum Nationalrat
äußerte der UN-
Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, seine Sorge über die
zunehmende Schwächung multilateraler Institutionen wie der Vereinten
Nationen und des Internationalen Strafgerichtshofs. Die Legitimität
dieser Einrichtungen werde zunehmend untergraben und Menschenrechte
teilweise als „Ideologie“ diskreditiert. Türk betonte die Bedeutung
einer starken internationalen Gerichtsbarkeit und appellierte
besonders an kleinere Staaten wie Österreich, sich aktiv für den
Erhalt und die Stärkung der multilateralen Ordnung einzusetzen.
Mit Dagmar Belakowitsch, Katayun Pracher-Hilander (beide FPÖ),
Andreas Minnich, Gudrun Kugler (beide ÖVP), Petra Bayr, Muna Duzdar (
beide SPÖ), Dominik Oberhofer (NEOS) und Agnes Sirkka Prammer (Grüne)
tauschte er sich außerdem über die Lage in der Ukraine sowie in Gaza
aus und diskutierte den Umgang mit irregulärer Migration sowie
künstlicher Intelligenz.
Türk über Herausforderungen und Erfolge internationaler
Menschenrechtspolitik
Gerade in Zeiten, in denen internationale Institutionen vermehrt
in Frage gestellt und die Menschenrechte zunehmend zur „Ideologie“
erklärt würden, freue er sich besonders, mit Parlamentarier:innen
verschiedener Länder in Austausch treten zu können, erklärte Türk
gegenüber den Abgeordneten. Die geopolitische Debatte fokussiere sich
immer mehr in Richtung militärischer Ausgaben, was nicht auf Kosten
der Arbeit im multilateralen Menschenrechtsbereich passieren dürfe.
Wenn große Staaten wie Russland beginnen, „fundamentale Pfeiler“ der
Menschenrechte wie die territoriale Integrität eines anderen Landes
zu verletzen, schwäche dies das Vertrauen in die internationalen
Institutionen, was auch Auswirkungen auf andere Weltregionen habe.
Zudem stehe die UNO unter anderem aus den USA auch „finanziell unter
Beschuss“, wie Türk ausführte. Man müsse sich auf eine „Schwächung
des Multilateralismus vorbereiten“, was auch in Europa für vermehrte
Instabilität sorgen könne.
Gudrun Kugler (ÖVP), Petra Bayr (SPÖ), Muna Duzdar (SPÖ) und
Agnes Sirkka Prammer (Grüne) teilten diesen Befund. Bayr fragte, ob
multilaterale Instrumente wie internationale Gerichte oder die
Vereinten Nationen mittlerweile „zahnlos geworden“ seien. Kugler
verwies auf das schwindende geopolitische Gewicht Europas und Duzdar
auf die Verweigerung einzelner Länder, internationalen Haftbefehlen
nachzukommen.
Türk bestätigte den drohenden bzw. teilweise bereits vorhandenen
Legitimitätsverlust multilateraler Institutionen und Instrumente, sah
aber etwa die Vereinten Nationen nicht als gänzlich „zahnlos“ an. So
würden etwa eine negative Nennung im UN-Menschenrechtsrat oder eine
Resolution zur Verurteilung von Menschrechtsverletzungen durchaus
ernst genommen.
Mittels internationalem Druck seien auch Erfolge in verschiedenen
Weltregionen erzielen worden, verwies Türk etwa auf den Stopp des
Kopftuchgesetzes im Iran. In Bangladesch habe man der ehemaligen
Premierministerin Sheikh Hasina Wajed im Rahmen einer Fact-Finding-
Mission Menschenrechtsverletzungen nachweisen und durch eine
Intervention in der Armee „Schlimmeres verhindern können“, berichtete
Türk. In Serbien habe Türk selbst sowohl mit Regierungsmitgliedern
als auch Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, Studierenden und
Professor:innen das Gespräch gesucht und Themen wie Medienfreiheit,
Korruption und die Unabhängigkeit der Justiz besprochen, antwortete
er Dominik Oberhofer (NEOS), der sich danach erkundigt hatte. Auch
hier habe Türk angeboten, eine Fact-Finding-Mission zu schicken, um
etwa den Vorwurf zu klären, die Regierung habe eine Schallkanone
gegen Demonstrant:innen eingesetzt. Ob die serbischen Behörden dieses
Angebot annehmen, sei noch offen, doch auch der Besuch selbst habe
„Präventivwirkung“, so Türk.
Man dürfe also hinsichtlich der Bedeutung internationaler
Organisationen nicht „das Kind mit dem Bade ausschütten“. Gerade
kleinere Staaten wie Österreich müssten sich laut Türk für eine
Stärkung des Multilateralismus und die Verteidigung der
Menschenrechte einsetzen, da diese essenziell für ihre Stabilität
seien. Dazu gelte es, immer wieder auf die Entstehungsgeschichte der
Menschenrechte auch im Zusammenhang mit den Gräueln des Zweiten
Weltkriegs hinzuweisen und diese auch in ihrer „gesamten Bandbreite
zu verstehen“, wie Türk auf eine Frage von Muna Duzdar (SPÖ)
antwortete. Deren „Verkoppelung“ mit wirtschaftlichen und sozialen
Rechten dürfe nicht ausgeblendet werden.
Ukraine, Gaza und die Bedeutung internationaler Gerichtsbarkeit
Hinsichtlich der Situation in der Ukraine würden immer der
„Gesamtkontext“ und die Bedenken beider Seiten berücksichtigt, führte
Türk auf Nachfrage von Katayun Pracher-Hilander (FPÖ) aus. Es gebe
eine „ganz klare, sehr schwere Völkerrechtsverletzung“ sowie
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von
Russland begangen worden seien. Dies bedeute jedoch nicht, dass
Menschenrechtsverletzungen von ukrainischer Seiter ignoriert würden.
Die Aufarbeitung aller Verstöße müsse Teil des Friedensprozesses
sein, erklärte Türk.
Auch die Lage in Gaza, für die sich Gudrun Kugler (ÖVP) und Muna
Duzdar (SPÖ) interessierten, betrachte Türk „mit großer Sorge“, da
dort ebenfalls das Kriegsvölkerrecht massiv verletzt und nicht auf
die Verhältnismäßigkeit der Kriegsführung geachtet werde. Dazu komme,
dass nun durch die Blockade der humanitären Hilfslieferungen eine
Hungersnot großen Ausmaßes drohe. Auch die Lage im Westjordanland
verschlechtere sich zusehends und potenziell seien Vertreibungen der
palästinensischen Bevölkerung zu befürchten. Neben der Freilassung
der israelischen Geiseln – etwa durch Gespräche mit in der Region
einflussreichen Ländern – plädierte Türk für einen permanenten
Waffenstillstand sowie die sofortige Zulassung der Hilfslieferungen
in den Gazastreifen.
Für Türk sei es angesichts der Situation im Nahen Osten
unverständlich, dass es bei der Anklage Wladimir Putins durch den
Internationalen Strafgerichtshof „Applaus“ gegeben habe, während die
Anklage von Benjamin Netanjahu auf harsche Kritik und Gegenreaktionen
gestoßen sei. Man müsse die Gerichte „arbeiten lassen“, da die
„Unterminierung“ ihrer Unabhängigkeit gefährliche Folgen für die
internationale Sicherheit und Stabilität haben könne, warnte Türk.
Wie er gegenüber Andreas Minnich (ÖVP) erklärte, stelle die
unabhängige Gerichtbarkeit ein wichtiges Korrektiv auch für
demokratische Mehrheitsentscheide dar. Die Mehrheit habe weder auf
nationaler noch auf internationaler Ebene „immer Recht“, berief er
sich auf den ehemaligen Präsidenten der Verfassungsgerichtshofs
Ludwig Adamovich.
Umgang mit irregulärer Migration und künstliche Intelligenz
Bezüglich der von Minnich und Agnes Sirkka Prammer (Grüne)
aufgeworfenen Migrationsfrage bezeichnete Türk das dahingehende
internationale Regelwerk als „klar“: Menschen dürften nicht in ein
Land zurückgeschickt werden, wo ihnen Folter drohe – auch wenn diese
straffällig geworden seien. Als Lösungsansätze sah er
Menschenrechtsarbeit in den Herkunftsländern, um irreguläre Migration
generell zu reduzieren und Integrationsarbeit in den Aufnahmestaaten,
um Straffälligkeit zu verhindern. Eine Umdeutung oder „Aufweichung“
der Europäischen Menschenrechtskonvention in dieser Frage
befürwortete Türk nicht.
Zum ebenfalls von Prammer angesprochenen Thema künstliche
Intelligenz äußerte sich Türk besorgt. Bei allen Vorteilen, die diese
Technologien mit sich brächten, müssten deren Folgen insbesondere auf
den gesellschaftlichen Zusammenhalt immer mitbedacht werden. Es
gelte, internationale Regelungen zu finden, um Desinformation und
Polarisierung bestmöglich zu verhindern. (Schluss) wit
HINWEIS: Fotos von dieser Aussprache sowie eine Nachschau auf
vergangene Veranstaltungen finden Sie im Webportal des Parlaments .