Wien (PK) – Bundeskanzler Christian Stocker und EU-Ministerin Claudia
Plakolm
tauschten sich heute mit den Abgeordneten im EU-Hauptausschuss über
die Themen aus, die bei der bevorstehenden Sitzung des Europäischen
Rates in den kommenden beiden Tagen auf der Agenda stehen. Der
aktuelle Konflikt zwischen Israel und dem Iran unter Beteiligung der
USA war dabei eines der prägenden Themen. Im Zentrum standen Fragen
nach der Völkerrechtskonformität des israelischen Angriffs aber auch
nach den Folgen für die europäische Versorgungssicherheit. Für
Stocker war klar, dass einer nuklearen Bewaffnung des Iran
entgegengewirkt werden müsse, jedoch mit politischen Mitteln.
Er bot Wien als Schauplatz für Friedensverhandlungen an, was auch
für den Krieg zwischen der Ukraine und Russland gelte, der ebenfalls
im Ausschuss thematisiert wurde. Stocker berichtete von einem
Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und gab
eine eher ernüchternde Bestandsaufnahme ab.
Bezüglich der Bekämpfung illegaler Migration erklärte Plakolm,
dass diese eine der „Top-Prioritäten“ Österreichs bleibe. Zur
Diskussion stehe diesbezüglich auch die Auslegung der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK), nicht jedoch die Konvention an sich,
wie Stocker betonte.
Zudem brachten die Oppositionsparteien vier Anträge auf
Stellungnahme ein, die – weil jeweils nur mit den Stimmen der eigenen
Fraktion unterstützt – keine Mehrheit im Ausschuss fanden. So sehen
die Freiheitlichen eine zunehmende „militärische Integration im
Rahmen der EU in Richtung NATO“ als unvereinbar mit der Neutralität
an und fordern den Bundeskanzler auf, bei der Tagung des Europäischen
Rates, keinerlei Schlussfolgerungen zuzustimmen, die auf eine weitere
Annäherung an die NATO abzielen oder die sicherheits- und
verteidigungspolitische Eigenständigkeit der Mitgliedstaaten in Frage
stellen könnten. Ebenso solle die Bundesregierung nach Wunsch der FPÖ
keinen EU-Plänen zur Ausweitung „sogenannter legaler Migrationswege“
zustimmen. Die Grünen wollen, dass die Bundesregierung Vorschläge der
Europäischen Kommission unterstützt, russische Energieimporte bis
spätestens 2027 komplett und ohne Befristung zu stoppen. Die
Unterstützung der Bundesregierung fordern sie auch für die Erreichung
des Klimaziels der EU-Kommission, die Netto-Treibhausgasemissionen
innerhalb der EU bis 2040 um 90 % verglichen mit 1990 zu reduzieren.
Naher Osten: Stocker bietet Wien als Ort für Verhandlungen an
In seiner einleitenden Stellungnahme rekapitulierte Bundeskanzler
Christian Stocker den Ablauf des gegenwärtigen Konflikts zwischen dem
Iran, Israel und den USA und berichtete darüber bereits Gespräche mit
dem Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate und dem
Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO)
geführt zu haben. Gespräche mit Vertretern Israels und des Sultanats
Oman seien geplant. Für Stocker ist klar, dass das iranische
Atomprogramm bereits seit geraumer Zeit Anlass zur Sorge gebe und ein
nuklear bewaffneter Iran zu verhindern sei. Dafür brauche es jedoch
eine politische Lösung. Die nun vorerst haltende Waffenruhe biete
möglicherweise beiden Parteien eine Gelegenheit , an den
Verhandlungstisch zurückzukehren. Stocker begrüßte die vermittelnde
Rolle der USA und erklärte, dass Wien sich als Schauplatz der
Verhandlungen anbieten würde.
Zur Frage, ob der Angriff Israels auf den Iran als
völkerrechtswidrig zu beurteilen sei, gebe es verschiedene
Einschätzungen, antwortete Stocker Kai Jan Krainer (SPÖ).
Entscheidend sei, ob es für die Eindämmung des iranischen
Atomprogramms „gelindere Mittel“ gegeben hätte. Man könne
argumentieren, dass das nicht der Fall sei, da der Iran
diesbezügliche Verhandlungen abgelehnt habe, so Stocker. Die Frage
werde aber noch zu klären sein.
Ob der Konflikt auch Auswirkungen auf die Energieversorgung
Europas haben werde, wollte Axel Kassegger (FPÖ) wissen. Dies hänge
davon ab, ob der Iran die Straße von Hormus für einen längeren
Zeitraum sperre, erklärte Stocker. Er gehe jedoch nicht davon aus, da
der Iran selbst „massives Interesse“ daran habe, sie nicht zu
sperren.
EU-Ministerin Plakolm berichtete, dass sie sich auf europäischer
Ebene gegen die Suspendierung des Assoziierungsabkommens mit Israel
eingesetzt habe. Sie begründete dies auf Nachfrage Meri Disoskis (
Grüne), die etwaige Menschenrechtsverletzungen ins Feld führte, mit
der Notwendigkeit, Kommunikationskanäle offen zu halten. Plakolm
betonte ebenso wie Stocker das Selbstverteidigungsrecht Israels und,
dass die israelischen Geiseln befreit werden müssten. Gleichzeitig
unterstrichen beide die humanitäre Notlage in Gaza. Österreich werde
erneut 3 Mio. Ꞓ an humanitärer Hilfe für die dortige Zivilbevölkerung
zur Verfügung stellen, berichtete Plakolm.
Ernüchternde Bestandsaufnahme bezüglich der Ukraine
Bezüglich der Ukraine sprach Stocker von einem Austausch mit
Wolodymyr Selenskyj, der in der vergangenen Woche stattgefunden habe.
Georg Strasser (ÖVP) und Bernhard Höfler (SPÖ) berichtete er von
einer „leider eindeutigen Lage“: Selenskyj sei zu ernsthaften
Verhandlungen über einen „dauerhaften und gerechten“ Frieden bereit,
doch Russland zeige kein Interesse daran. Solange Russlands Präsident
Putin glaube, am Schlachtfeld mehr erreichen zu können als durch
Verhandlungen, werde sich dies nach Stockers Einschätzung auch nicht
ändern. Der Druck auf Russland müsse erhöht werden und Österreich
unterstütze das nächste Sanktionspaket, an dem gegenwärtig gearbeitet
werde. Sollte es schließlich doch zu ernsthaften
Friedensverhandlungen kommen, habe er auch hier Wien als Schauplatz
angeboten, erklärte Stocker. Zudem sei es im Gespräch mit dem
ukrainischen Präsidenten um wirtschaftliche Kooperationen vor allem
hinsichtlich des Wiederaufbaus gegangen. Selenskyj werde auch an der
kommenden Ratssitzung teilnehmen.
In diesem Zusammenhang sprachen Axel Kassegger (FPÖ), Werner
Kogler und Meri Disoski (beide Grüne) auch die Frage der
Energieversorgung an. Stocker stimmte einer von Disoski kritisierten
Aussage von Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer im EU-
Unterausschuss zu, wonach man sich bezüglich der Kooperation mit
Russland keine Potentiale für die Zeit nach Putin verbauen solle (
siehe PK 421/2025). Auch er hoffe sehr, dass sich die Verhältnisse in
Russland in Zukunft verbessern. Seit Jahresbeginn beziehe Österreich
kein Gas mehr aus Russland. Stocker erklärte dieses Thema jedoch
„illusionslos“ zu betrachten, da sich die Frage stelle, ob auch aus
anderen Ländern importierte Energieträger nicht ebenfalls
ursprünglich aus Russland stammten. Als Binnenland ohne Häfen für den
Import von LNG (liquefied natural gas) müsse es Österreich auch um
den Ausbau des Pipeline-Netzwerks gehen, antworte Stocker Kassegger.
Dies werde allerdings nicht als Nationalstaat alleine umzusetzen
sein, so der Kanzler.
Debatte über Bekämpfung illegaler Migration und Auslegung der
EMRK
Ein weiteres prägendes Thema im Ausschuss war die europäische
Migrationspolitik. EU-Ministerin Plakolm erklärte gegenüber Michael
Hammer (ÖVP), dass der Kampf gegen die illegale Migration einer der
„Top-Prioritäten“ Österreichs bleibe, da sich die Bürger:innen – auch
ganz Europas – „klare Antworten“ erwarteten. Plakolm und Stocker
sprachen die geplante Rückführungsverordnungen der EU an, die zu
einem funktionierenden Migrationsmanagement führen sollen. Die
diesbezüglich „gleichgesinnten“ Staaten bildeten mittlerweile die
Mehrheit in der EU, so Stocker. Auch mit Deutschlands Bundeskanzler
Friedrich Merz, der zum ersten Mal in seiner Funktion an einer
Europäischen Ratssitzung teilnehmen werde, bestünden
migrationspolitisch „große Übereinstimmungen“.
Wenig überzeugt von der Umsetzung einer restriktiveren
Migrationspolitik in der EU zeigte sich Dagmar Belakowitsch (FPÖ).
Sie verwies auf Bestrebungen, die sich auch im Entwurf zu den
Schlussfolgerungen der Ratssitzung finden würden, wonach auch der
Ausbau legaler Fluchtwege geplant sei. Eine „Legalisierung illegaler
Migration über die Hintertür“ bezeichnete Belakowitsch als „völlig
indiskutabel“. Für Pia Maria Wieninger (SPÖ) ist legale Migration die
einzige Lösung . Nur so könne Schleppern das „Handwerk gelegt“
werden. Dominik Oberhofer (NEOS) zeigte sich überzeugt, dass Dänemark
als „klares migrationspolitisches Vorbild“ im Rahmen seiner
Ratspräsidentschaft dahingehend vieles auf den Weg bringen werde.
Bundeskanzler Stocker konstatierte, dass die Schaffung legaler
Fluchtrouten gemäß EU-Plänen jedem Mitgliedstaat selbst obliegen
soll. Für Österreich stelle sich diese Frage gar nicht, da die „Pro-
Kopf-Belastung“ hinsichtlich Asylwerber:innen bereits über allen
anderen EU-Staaten liege.
Wolfgang Gerstl (ÖVP) warf die Frage des Umgangs mit der
Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) auf. Er sei überzeugt,
dass diese die Menschenrechte in Europa über Jahrzehnte gesichert
habe. Deren Auslegung in den letzten Jahren habe das Vertrauen der
Bürger:innen in die Konvention jedoch erschüttert, so Gerstl.
Insbesondere, wenn etwa die Ausweisung „schwerstkrimineller
Asylwerber:innen“ unter Berufung auf die EMRK verhindert werde.
Bundeskanzler Stocker betonte, dass die aktuelle Diskussion um die
EMRK nicht auf die Konvention an sich oder die Unabhängigkeit des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) abziele. Es gehe
rein um die Auslegung der EMRK, die auch bei der Ratssitzung
thematisiert werde.
Weitere prägende Themen waren die Wettbewerbsfähigkeit der EU,
die etwa Ines Holzegger (NEOS) ansprach, die Beitrittsperspektive der
Westbalkanstaaten und Moldaus sowie der mehrjährige Finanzrahmen, für
den sich Christofer Ranzmeier (FPÖ) interessierte. (Schluss EU-
Hauptausschuss) wit