Wien (OTS) – Frauen mit akutem Koronarsyndrom (Herzinfarkt) erleiden
häufiger
Blutungskomplikationen – oft aufgrund nicht angepasster
Medikamentendosierungen oder risikoreicher Zugangswege bei
Katheterinterventionen. Diese Problematik ist zwar seit langem
bekannt, wird aber im klinischen Alltag bislang unzureichend
berücksichtigt. Nun hat ein internationales Expert:innengremium unter
Leitung der MedUni Wien erstmals konkrete Empfehlungen zur
geschlechterspezifischen Therapie von Herzinfarkt veröffentlicht. Das
Konsensus-Statement wurde aktuell in den renommierten Fachmagazinen
„European Heart Journal“ und „EuroIntervention“ publiziert.
Mit dem Konsensus-Statement wird die Notwendigkeit betont, die
Therapie bei Frauen mit akutem Koronarsyndrom (ACS) gezielt an deren
biologische und klinische Besonderheiten anzupassen. Es wurde von
einem internationalen Expert:innengremium der European Association of
Percutaneous Cardiovascular Interventions (EAPCI) und der
Arbeitsgruppe Thrombose der European Society of Cardiology (ESC)
unter Leitung der Kardiologin Jolanta M. Siller-Matula von der
Universitätsklinik für Innere Medizin II der MedUni Wien erarbeitet.
Darin wird u. a. empfohlen, die Dosierung von Medikamenten wie
Heparin und Plättchenhemmern individuell nach Körpergewicht und
Nierenfunktion zu berechnen, um das Risiko für Blutungen zu senken.
Auch wird geraten, bei Katheterinterventionen bevorzugt über die
Arterie am Handgelenk (Arteria radialis) vorzugehen – ein Zugang, der
mit weniger Blutungskomplikationen verbunden ist als der über die
Leistengegend.
Einen besonderen Fokus legt das Gremium auf die medikamentöse
Behandlung von speziellen Herzinfarktformen, die überwiegend bei
Frauen auftreten. Dazu zählen MINOCA (Myokardinfarkt ohne Verschluss
der Herzkranzgefäße), bei dem trotz Infarktzeichen keine hochgradige
Verengung der Koronararterien vorliegt, und SCAD (spontane koronare
Arteriendissektion), bei der es zu einem Einriss in der Wand eines
Herzkranzgefäßes kommt. Für beide Erkrankungen wird eine
differenzierte Auswahl und Dauer antithrombotischer Therapien
empfohlen. Eine routinemäßige Gabe von dualer Plättchenhemmung (DAPT)
wird in diesen Fällen nicht mehr angeraten.
Frauen in klinischen Studien zu kardiovaskulärer Therapie stark
unterrepräsentiert
Das akute Koronarsyndrom (ACS) umfasst unterschiedliche Formen des
Herzinfarkts, bei denen die Durchblutung des Herzmuskels plötzlich
eingeschränkt ist. Frauen zeigen dabei oft andere Symptome, sind beim
ersten Auftreten im Durchschnitt älter und haben häufiger
Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Nierenschwäche. Zudem wirken
sich hormonelle Schwankungen im Lebensverlauf etwa durch
Menstruation, Schwangerschaft oder Menopause auf das
Blutgerinnungssystem und somit das Blutungs- und Thromboserisiko aus.
Trotz dieser Unterschiede sind Frauen in klinischen Studien zur
kardiovaskulären Therapie stark unterrepräsentiert. „Die Biologie von
Frauen war in der kardiovaskulären Forschung lange unterbelichtet.
Dieses Konsensus-Statement liefert eine fundierte Grundlage für eine
geschlechtersensible Versorgung und ist ein Aufruf an die gesamte
kardiologische Gemeinschaft, hier systematisch umzudenken“, betont
Jolanta Siller-Matula. Die aktuell publizierten Empfehlungen richten
sich nicht nur an Vertreter:innen der Kardiologie, sondern auch der
Notfallmedizin, Allgemeinmedizin und klinischen Forschung – mit dem
Ziel, geschlechterspezifische Unterschiede künftig konsequent in
Diagnostik, Therapie und Forschung zu integrieren.
Publikation: European Heart Journal/EuroIntervention
Antithrombotic drugs for acute coronary syndromes in women: sex-
adjusted treatment and female representation in randomised clinical
trials. A clinical consensus statement of the European Association of
Percutaneous Cardiovascular Interventions (EAPCI) and the ESC Working
Group on Thrombosis.
Valeria Paradies (Chair), Giulia Masiero, Andrea Rubboli, Heleen M M
Van Beusekom, Francesco Costa, Piera Capranzano, Sophie Degrauwe,
Diana A Gorog, Claudia Moreira Jorge, Gill Louise Buchanan, Mirvat
Alasnag, Daniela Trabattoni, Chiara Fraccaro, Dirk Sibbing, Dariusz
Dudek, Gemma Vilahur, Alaide Chieffo, Roxana Mehran, Davide
Capodanno, Emanuele Barbato, Jolanta M Siller-Matula (Co-Chair).
DOI: 10.1093/eurheartj/ehaf352
DOI: 10.4244/EIJ-D-24-00876