Wien (OTS) – Die Wienbibliothek im Rathaus begibt sich mit einer
Kabinettausstellung und begleitenden Publikation auf die Spuren der
Wirkungsstätten des philosophischen Wiener Kreises und dessen Ziel
der Popularisierung einer „wissenschaftlichen Weltauffassung“. Zu
sehen ist die von Friedrich Stadler und Bernhard Hachleitner
kuratierte Schau bis 19. September.
Als „Wiener Kreis“ trat mit dem gleichnamigen Manifest der
Diskussionszirkel um den Physiker und Philosophen Moritz Schlick im
Jahre 1929 zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. Die Ideen des
Logischen Empirismus sollten einem breiteren Publikum zugänglich
gemacht werden. Dies beinhaltete das Bestreben, alle
wissenschaftlichen Aussagen in eine empirische oder formale Sprache
zu übersetzen. Erfahrung und formale Logik sollten die vorherrschende
metaphysische Philosophie überwinden, wodurch nur Aussagen
wissenschaftlich sinnvoll sind, die man entweder logisch beweisen
oder durch Beobachtung überprüfen kann. Trotz der unterschiedlichen
Forschungsfelder, aus denen die Protagonist:innen des Wiener Kreises
stammten, einte sie dieser Gedanke eines „Logischen Empirismus“.
Einige Mitglieder des Wiener Kreises waren an der Universität
tätig, arbeiteten an Volkshochschulen und trugen mit ihrem
demokratischen Ziel des „Wissens für alle“ am Pädagogischen Institut
der Stadt Wien zur Schulreform bei. Vereine, Kaffeehäuser und
Wohnungen waren wichtige Treffpunkte des Austausches und der
Vernetzung, die Orte des „Roten Wien“ Wirkungsstätten der
Vortragstätigkeit, an der sich der Wiener Kreis aktiv beteiligte.
Die Kabinettausstellung in der Wienbibliothek im Rathaus
vermittelt die zentralen Inhalte des Wiener Kreises und zeigt anhand
wichtiger Orte exemplarisch dessen Topologie im sozialen, kulturellen
und politischen Kontext Wiens und darüber hinaus dessen
internationale Strahlkraft.
„Mit der Ausstellung zum Wiener Kreis rückt die Wienbibliothek im
Rathaus eine revolutionäre wie bedeutende Bewegung ins Zentrum, die
für einen wissenschaftlich fundierten Zugang zur Welt steht und das
Ideal des ‚Wissens für alle‘ in die Gesellschaft getragen hat.
Aufklärung, Bildung und demokratische Teilhabe sind Werte, die auch
heute das Selbstverständnis unserer Stadt prägen. Mit der Ausstellung
machen wir nicht nur Geschichte sichtbar, sondern stärken darüber
hinaus das Bewusstsein für eine Stadtgesellschaft, in der Wissen und
Kultur allen zugänglich sind – denn es ist Teil unseres
kulturpolitischen Selbstverständnisses, Räume zu schaffen, in denen
sich diese Tradition fortschreibt.“ (Veronica Kaup-Hasler, Kultur-
und Wissenschaftsstadträtin)
„Der weltberühmte philosophische Zirkel um Moritz Schlick konnte
ab 1924 aufgrund der kreativen urbanen Kultur nur im „Roten Wien“ der
Ersten Republik entstehen und hat sich zu seiner Halbzeit im Manifest
von 1929 folgerichtig den Namen ‚Wiener Kreis‘ der Wissenschaftlichen
Weltauffassung gegeben.“ (Kurator Friedrich Stadler)
Die reaktionären und antisemitischen Strömungen machten die
Universität für den Wiener Kreis von Beginn an zu einem prekären Ort,
schon bevor Moritz Schlick 1936 dort ermordet wurde. Als Folge des
Bürgerkriegs 1934 und spätestens mit dem ‚Anschluss‘ 1938 wurde diese
Wissenschaftskultur zerstört und – ohne Rückkehr nach 1945 –
vertrieben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es kurzzeitig zu einer Renaissance
des Wiener Kreises um Viktor Kraft und erst seit Beginn der 1990er
Jahre durch das Institut Wiener Kreis zu einer Wiederbelebung und
Institutionalisierung auch an der Universität Wien dieser inzwischen
weltberühmten Wiener Philosophie.
Zwtl.: DIE AUSSTELLUNG
Die Ausstellung im Kabinett der Wienbibliothek im Rathaus legt
einen Fokus auf die Wiener Orte der wissenschaftlichen Weltauffassung
in neun Stationen. Dabei zeigt sich eine einmalige interaktive
Zirkelkultur, die vom urbanen Umfeld inspiriert und geprägt ist.
Orte des Treffpunkts, Austausches und der Vernetzung waren die
Universität mit dem Hauptgebäude am Ring und dem Institut für
Mathematik in der Boltzmanngasse, diverse Kaffeehäuser, private
Wohnungen und Salons, das Alte Rathaus in der Wipplingerstraße und
das neue Rathaus samt Rathauspark am Friedrich-Schmidt-Platz, das
Volksheim Ottakring mit seinen Nebenstellen und das Pädagogische
Institut im Palais Epstein am Ring und in der Burggasse.
„Die Orte bilden das Wien des Wiener Kreises nicht nur
topografisch ab – in der Ausstellung mit einem großen Stadtplan
visualisiert –, sie stehen auch jeweils für wesentliche inhaltliche
Aspekte, wie die Mitwirkung am Volksbildungs- und Schulreformprojekt
des ‚Roten Wien‘. Das war umso wichtiger, weil die Universität für
den Wiener Kreis einen prekären Ort darstellte.“ (Kurator Bernhard
Hachleitner)
Das neue Rathaus am Ring beherbergte von 1925 bis zum Februar
1934 die Dauerausstellung des Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums
von Otto Neurath. Der Ökonom, Soziologe und Wissenschaftstheoretiker
entwickelte mit Gerd Arntz und Marie Reidemeister im Rahmen seiner
volksbildnerischen Tätigkeit der Vermittlung von sozio-ökonomischem
Wissen bildstatistische Tafeln für Ausstellungen und Museen. Daraus
entstand die „Wiener Methode der Bildstatistik“, die in der Folge
internationale Verbreitung im Exil (als Isotype) fand.
„Die Wienbibliothek im Rathaus besitzt viele originale Quellen
zum Wiener Kreis, unter anderem die Sammlung Kurt Gödel. Aber auch
die Skizze der Wiener Kreise von Edward Timms, in der der Wiener
Kreis nur als einer unter vielen verortet ist. Das Rathaus war schon
in den 1920er Jahren ein wichtiger Ort für den Wiener Kreis – und ist
es mit der Ausstellung jetzt wieder.“ (Anita Eichinger, Direktorin
Wienbibliothek im Rathaus)
Wienbibliothek im Rathaus, Ausstellungskabinett
Rathaus, Eingang Felderstraße, Stiege 6 (Glaslift), 1. Stock
MO bis DO, 9.00 bis 19.00 Uhr, Freitag, 9.00 bis 17.00 Uhr
(1. Juli bis 29. August: 9.00 bis 15.00 Uhr)
Geschlossen: Samstage, Sonntage und Feiertage
Eintritt frei
Mehr Informationen zur Ausstellung hier
PUBLIKATION ZUR AUSSTELLUNG
„Wien und die Wissenschaftliche Weltauffassung – Orte des Wiener
Kreises“ wiener hefte – 3
Hrsg. Anita Eichinger, Bernhard Hachleitner und Friedrich Stadler
Mit Texten von: Silke Körber, Karl Sigmund, Friedrich Stadler
Kostenlos erhältlich ab 4. Juni 2025
in der Wienbibliothek im Rathaus zu den Öffnungszeiten.