Wien (OTS) – Die Zweite Republik feiert ihren 80. Geburtstag. Und mit
ihr feiern
Tausende Österreicherinnen und Österreicher. Sie wurden im Frühjahr
1945 geboren, am Ende des Zweiten Weltkriegs, am Beginn der Zweiten
Republik. Damals war völlig ungewiss, was die Zukunft bringen würde,
den Neugeborenen genauso wie der Republik, die am 27. April 1945 in
Wien wieder ausgerufen wurde. Im Rahmen des multimedialen
Programmschwerpunkts „80 Jahre Zweite Republik“ (Details unter
presse.ORF.at) blickt der ORF gemeinsam mit Geburtstagskindern des
Jahres 1945 zurück auf 80 Jahre Lebens- und Republiksgeschichte. In
neun Dokumentationen, produziert von den neun Landesstudios des ORF,
wird seit 5. Mai die Geschichte Österreichs als Geschichte der
Entwicklung in den Regionen erzählt. Neun Bundesland-Geschichten, in
denen Geburtstagskinder des Jahres 1945 von ihrem Werdegang und dem
ihrer Familien erzählen, oft gemeinsam mit Ehepartnern, Kindern,
Enkelkindern.
Am Dienstag, dem 20. Mai 2025, steht um 22.30 Uhr (Dacapo am
Samstag, dem 24. Mai, um 9.40 Uhr) in ORF 2 und auf ORF ON die von
Markus Barnay gestaltete Produktion des Landesstudios Vorarlberg
„Unser Österreich: Vorarlberg – ‚Nit lugg lo!‘ – Nicht aufgeben!“ auf
dem Programm:
„Nit lugg lo!“, nicht aufgeben – dieses in Vorarlberg weit
verbreitete Motto passt nicht nur zur Geschichte des Landes seit
1945, sondern auch zur Lebensgeschichte von drei Menschen, die gleich
alt sind wie Österreichs Zweite Republik. Diese drei
Geburtstagskinder stehen im Mittelpunkt der Dokumentation des ORF
Vorarlberg zum Jubiläum „80 Jahre Zweite Republik“.
Zwei von ihnen waren in der Textilbranche tätig, die mehr als
hundert Jahre lang Vorarlbergs Wirtschaft dominierte: Werner Hagen
lebt an der Grenze zur Schweiz, die für den Vorarlberger
Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit eine Schlüsselrolle spielte. Sein
Sohn ist der letzte Scherler in Vorarlberg, ein Beruf, der für die
Veredelung von Stickereien unverzichtbar ist. Hagen hat das Auf und
Ab der Stickereibranche hautnah miterlebt, hat sich mit viel
Eigenleistung ein schönes Eigenheim gebaut und mit viel Arbeit einen
ansehnlichen Wohlstand erwirtschaftet. Als früherer Spieler und
langjähriger Funktionär des Lustenauer Fußballklubs Austria hat er
sich auch ehrenamtlich für die Gemeinschaft engagiert – und tut das
bis heute, indem er nach jedem Heimspiel die Tribünen säubert.
Renate Abram wuchs in Kärnten auf und ist damit eine von vielen
Arbeitszuwanderinnen, ohne die der Aufstieg zur Wohlstandsregion
nicht denkbar wäre. Sie hat in einer der zahlreichen Textilfirmen im
Vorarlberger Rheintal als Textilarbeiterin begonnen, hat dann einen
aus der Steiermark zugewanderten Arbeitskollegen geheiratet und drei
Söhne großgezogen, ehe sie wieder – als Näherin – in einen
Textilbetrieb zurückkehrte, aber diesmal in ein Modehaus. Zu den
schlimmsten Phasen ihres Lebens gehörte die Zeit, als ihr ehemaliger
Betrieb schließen musste und sie gleich drei Arbeitslose zu Hause
hatte – ihren Mann und zwei ihrer Söhne. Doch alle drei haben schnell
wieder Arbeit gefunden, durchaus symbolisch für den gelungenen
Strukturwandel der Vorarlberger Wirtschaft seit den 1990er Jahren.
Abram trifft sich auch seit beinahe 50 Jahren mit einer Gruppe von
Jahrgängern, die einmal jährlich einen gemeinsamen Ausflug
organisieren – und die heuer alle ihren 80er feiern.
Der dritte Protagonist der Vorarlberger Ausgabe von „Unser
Österreich“ ist Franz Pichler, ein Landwirt, der für Tradition und
Bodenständigkeit steht – und doch als einer der ersten Bio-Landwirte
Vorarlbergs auch die Umweltbewegung der 1980er Jahre repräsentiert.
Schließlich zogen in Vorarlberg 1984 zum ersten Mal „Grüne“ in einen
Landtag ein – damals mit der Galionsfigur Kaspanaze Simma. Franz
Pichler hat aber auch sonst Berührungspunkte mit der Geschichte
Vorarlbergs: Wenige Meter von seinem Elternhaus entfernt
überschritten die französischen Truppen Ende April 1945 die
österreichische Grenze und erklärten das Land zum „Pays ami“, zum
befreundeten Land. Außerdem kostete die Pichlers der Ausbau der
Verkehrswege in den 1970er und 1980er Jahren einen Großteil ihrer
Weidegründe: Die Autobahnverbindung durch den Pfändertunnel und nach
Deutschland führt genau über die ehemaligen Gründe des Pichlerschen
Hofes.
Eine höhere Schulbildung war in den Jahren nach 1945 für eine
kinderreiche Familie wie die Pichlers nur in Einzelfällen möglich. In
ihrem Fall war Meinrad Pichler der Glückliche, dem ein Studium
ermöglicht wurde. Der ehemalige Schuldirektor ist einer der
bekanntesten Historiker des Landes, der die Entwicklung Vorarlbergs
nach 1945 fachkundig kommentiert. Er hebt vor allem die großen
Startvorteile hervor, die das Land von anderen Regionen Österreichs
unterschieden: Es gab kaum Kriegsschäden, die französischen Besatzer
halfen auf allen Ebenen, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen,
und die Marshallplan-Kredite für Industrie und Fremdenverkehr flossen
ebenfalls vorwiegend in den Westen Österreichs. Dazu kommt die Lage
an der Grenze zur Schweiz, von der Vorarlbergs Wirtschaft von Anfang
an profitierte. Meinrad Pichler gehörte aber auch zu den Akteuren des
kulturellen Aufbruchs in den 1970er Jahren, als junge Künstlerinnen
und Künstler sowie Kulturschaffende frischen Wind in die Kulturszene
des Landes brachten.