Wien (PK) – Ende April hatte der Nationalrat beschlossen, dass der
Nachzug von
Familienmitgliedern von Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten
vorübergehend ausgesetzt werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass
die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss
feststellt, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und
der Schutz der inneren Sicherheit dadurch gefährdet sind. Heute hat
der Hauptausschuss des Nationalrats grünes Licht für die
entsprechende Verordnung gegeben. Neben den Koalitionsparteien
stimmte auch die FPÖ für diesen Schritt. Scharfe Kritik kommt
hingegen von den Grünen: Sie sprachen von einer „reinen Showpolitik
auf dem Rücken von Kindern“ und gaben zu bedenken, dass
Familienzusammenführungen Integration förderten.
Von Seiten der Regierung wies Innenminister Gerhard Karner darauf
hin, dass in den letzten beiden Jahren 17.000 Menschen über den
Familiennachzug nach Österreich gekommen seien. Das habe viele
Systeme, vor allem das Bildungssystem überlastet, meinte er. Zudem
verwies er auf die steigende Kriminalitätsrate bei minderjährigen
Syrern hin. Den Befund Karners, dass Gegenmaßnahmen notwendig seien,
teilte auch die FPÖ, sie hält den vorübergehenden Stopp des
Familiennachzugs allerdings für unzureichend.
Familiennachzug für sechs Monate ausgesetzt
Konkret wird mit der von Bundeskanzler Christian Stocker dem
Nationalrat vorgelegten Verordnung (44/HA) geregelt, dass die Frist
für die Bearbeitung von Anträgen auf Familiennachzug bzw. die Pflicht
zur Entscheidung darüber für die nächsten sechs Monate gehemmt wird.
Ausnahmen kann es zur Achtung des Privat- und Familienlebens geben.
Die Regelung kann laut Asylgesetz höchstens drei Mal um bis zu sechs
Monate verlängert werden. Die in der Verordnung festgestellte
Gefährdung der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der
Schutz der inneren Sicherheit muss die Regierung dem Hauptausschuss
schriftlich begründen. Sie legte dem Ausschuss dazu eine 49-seitige
Analyse vor, die einen Überblick über die Asyl- und Migrationslage in
Österreich enthält und sich in Bezug auf mögliche Steuerungsmaßnahmen
in die Abschnitte Bildungssystem, Kriminalität und
Selbsterhaltungsfähigkeit gliedert. Darin wird angeführt, dass die
österreichischen Systeme eine sofortige Entlastung benötigen würden,
die am effektivsten und schnellsten durch eine Einschränkung des
Familiennachzugs erreicht werden könne.
FPÖ fordert gänzlichen „Zuwanderungsstopp“
Als „eine hemmungslose Selbstanklage“ bezeichnete FPÖ-
Abgeordneter Christian Hafenecker im Ausschuss die Begründung der
Verordnung. Die ÖVP habe „jahrzehntelang zugeschaut“, nun versuche
man mit der Verordnung Aktivität „vorzugaukeln“. Mit einem
sechsmonatigen Stopp des Familiennachzugs werde man die bestehenden
Probleme aber nicht lösen, ist er überzeugt. Konkret verwies
Hafenecker etwa auf mangelhafte Deutschkenntnisse vieler
Schüler:innen und die Überrepräsentanz von „Afghanen, Syrern und
Irakern“ in der Kriminalitätsstatistik. „Der Notstand ist da“, aber
es brauche weitergehende Maßnahmen, monierte er und drängte auf einen
„sofortigen Zuwanderungsstopp“. Man müsse die Grenzen „dicht machen“.
Auch seine Parteikollegin Susanne Fürst kritisierte die
Verordnung als unzureichend. Der Bericht beweise, dass die Maßnahmen
zu spät kämen und es verantwortungslos gewesen sei, „so lange zu
warten“. Zudem befürchte sie, dass die betroffenen Familienmitglieder
mangels ausreichenden Grenzschutzes trotzdem nach Österreich kommen
werden. Den Grünen warf Fürst vor, über Wien hinaus aus ganz
Österreich „ein Notstandsgebiet“ machen zu wollen.
Grüne orten „Showpolitik auf dem Rücken von Kindern“
Die beiden Grün-Abgeordneten Agnes Sirkka Prammer und Barbara
Neßler hatten davor Unverständnis für die Verordnung geäußert. Es
handle sich um eine „reine Showpolitik auf dem Rücken von Kindern“,
hielt etwa Prammer fest. Selbst während der Corona-Pandemie sei nie
in Frage gestanden, dass die innere Sicherheit und öffentliche
Ordnung in Österreich aufrechterhalten werden könne, nun solle sie
plötzlich gefährdet sein, bemängelte sie.
Dass es Probleme gibt, ist für Prammer offensichtlich. Diese
seien aber „hausgemacht“, unterstrich sie. Man habe es nicht
geschafft, die Flüchtlinge fair auf Österreich aufzuteilen. Trotz
hoher Belastungen in Wien, würden Flüchtlinge nach wie vor der
Bundeshauptstadt zugewiesen. Zudem ortet sie massive Versäumnisse bei
der Integration. Man hätte schon viel länger ins Schulsystem
investieren und den Schulen Ressourcen des ÖIF zur Verfügung stellen
müssen.
Abgeordnete Neßler forderte zudem mehr Geld für die Kinder- und
Jugendhilfe. Ihrer Ansicht nach rächt es sich jetzt, dass diese im
Jahr 2019 trotz Warnung von Expert:innen „verländert“ worden – also
zur Gänze in Landeskompetenz gekommen – sei. Eine Stärkung der
Jugendhilfe sei „die beste Maßnahme“ gegen Jugendkriminalität, ist
sie überzeugt. Zudem gab Neßler zu bedenken, dass sich
Familienzusammenführungen positiv auf die soziale Stabilität
auswirken würden.
ÖVP: Verordnung ist sehr gut begründet
Als „sehr gut und sehr ausführlich begründet“ wertete hingegen
Ernst Gödl (ÖVP) die Verordnung. Österreich habe in den vergangenen
Jahren mehr Flüchtlinge aufgenommen als 17 EU-Mitgliedstaaten
zusammen und damit „extrem human gehandelt“, machte er geltend. 2023
und 2024 seien allerdings mehr als 17.000 Personen, davon 10.000
Minderjährige, über den Familiennachzug nach Österreich gekommen. Es
sei unmöglich, diese in kurzer Zeit „in das Bildungssystem
hineinzubringen“, sagte er.
Zur Kritik der FPÖ merkte Gödl an, auch unter Innenminister
Herbert Kickl sei tausenden afghanischen Asylwerber:innen – aufgrund
der Rechtslage – Asyl gewährt worden. Er hält ein funktionierendes
europäisches Asylsystem für wichtig, aber da stimme die FPÖ stets
dagegen.
Nicht zu Wort meldeten sich Vertreter:innen der anderen beiden
Koalitionsparteien.
Karner: Maßnahmen zur Begrenzung des Familiennachzugs wirken
Innenminister Gerhard Karner wies darauf hin, dass die Regierung
schon in den vergangenen Monaten verschiedene Maßnahmen gesetzt habe,
um den Familiennachzug nach Österreich zu begrenzen. Das habe Wirkung
gezeigt. Zuletzt habe es nur noch 74 Anreisen gegeben. Jetzt gehe es
darum, diese Entwicklung nachhaltig abzusichern, meinte er.
Karner zufolge sind durch den Familiennachzug viele Systeme in
Österreich überlastet, wobei er speziell auf das Bildungssystem –
Stichwort Containerklassen – verwies. Durch die Überlastung habe man
sich zu wenig auf Integration konzentrieren können, betonte er. Als
eine Folge davon sieht er, dass die Zahl jugendlicher Tatverdächtiger
unter 14 vor allem bei der Gruppe der syrischen Jugendlichen,
gestiegen sei. Gemäß Artikel 8 EMRK wird es ihm zufolge aber
Ausnahmen vom vorübergehenden Stopp auf Familiennachzug geben. (
Hauptausschuss) gs/kar