NGO-Forum der Volksanwaltschaft: „Human Rights First – trotz Sparpaket“ – Menschen mit Behinderungen

Wien (OTS) – Die Volksanwaltschaft diskutiert jedes Jahr ein
gesellschaftspolitisch und menschenrechtlich relevantes Thema mit der
Zivilgesellschaft. Das heurige NGO-Forum widmete sich am 19. Mai dem
Thema „Human Rights First – trotz Sparpaket“. „Trotz Budgetdefizit
und Sparkurs dürfen die Förderung und Weiterentwicklung der
Menschenrechte nicht an den Rand der politischen Agenda gedrängt
werden“, so Volksanwalt Bernhard Achitz, der das NGO-Forum
moderierte. Etwa 80 Vertreter*innen von NGOs waren ins Parlament
gekommen, um zu diskutieren, wie das gelingen kann und worauf dabei
der Fokus gelegt werden sollte. Die Teilnehmer*innen wurden über die
im NGO-Sounding-Board der Volksanwaltschaft vertretenen
Organisationen eingeladen.

Der Fokus lag auf zwei konkreten menschenrechtlichen
Themenbereichen: Die Rechte von Frauen und die Rechte von Menschen
mit Behinderung. Der Nachmittag widmete sich letzterem Thema. „Wo
hinkt Österreich den internationalen menschenrechtlichen Standards am
meisten hinterher? Wo besteht der größte Handlungsbedarf?“, fragte
Achitz in seiner Einleitung. Es gelte nicht nur zu beachten, was die
Umsetzung der Menschenrechte kostet und ob sie finanzierbar ist: „Man
kann sich auch anschauen, ob es eine Umwegrentabilität gibt.“

Naue (Uni Wien): Sparpakete wirken sich massiv auf Menschen mit
Behinderungen aus

„Sparpakete wirken sich massiv auf Menschen mit Behinderungen
aus, weil die schon bestehende Finanzierungsproblematik weiter
verschärft wird“, sagte Ursula Naue vom Institut für
Politikwissenschaft der Universität Wien in ihrem Vortrag: „Wir haben
eine lange Tradition der Almosenpolitik und zu wenig Bewusstsein,
dass es um Rechte von Menschen mit Behinderungen geht.“
Behindertenrecht sei eine Querschnittsmaterie und müsse in allen
Politikfeldern angesprochen werden.

Österreich hat sich zur Umsetzung der UN-
Behindertenrechtskonvention verpflichtet. Daran ist nicht nur der
Bund, sondern sind natürlich auch die Länder und Gemeinden gebunden.
Monitoringstellen können die Umsetzung aber nur beobachten, so Naue:
„Sie haben keine Druckmechanismen und keine
Durchsetzungsmöglichkeiten. Hier sind wir alle als Gesellschaft
gefragt.“

Zentral sei die Frage: „Was ist Behinderung?“ Die UN-BRK
definiere das nach dem sozialen Modell von Behinderung: Menschen
WERDEN behindert. Hierzulande stünde aber immer noch das medizinisch-
individuelle Modell von Behinderung im Zentrum: „Österreichische
Gesetzestexte meinen, Menschen SIND behindert. Das hat Folgen auf die
Politik.“ Vor allem an den Sonderschulen übte Naue Kritik:
„Sonderschulen sind ein Widerspruch zur UN-BRK und stehen einem guten
und Selbstbestimmten Leben im Weg.“ Dabei sei Bildung – neben Arbeit
– zentral, um ein selbstbestimmtes Leben leben zu können.

Wegscheider (Uni Linz): Budgetpolitik ist nicht neutral, sondern
menschenrechtlich gebunden

Wie können menschenrechtliche Standards unter ökonomischem Druck
gewahrt werden? Die Gefahren von Sparpaketen schilderte Angela
Wegscheider von der Johannes Kepler Universität Linz nicht anhand von
Prognosen, sondern von Analysen der Vergangenheit: „Sparmaßnahmen in
den Jahren ab 2008 haben zu mehr Armut und zu weniger Rechten
geführt.“ Österreich habe soziale Dienstleistungen,
Ausbildungsprogramme, Arbeitsmarktintegration und innovative Projekte
für Menschen mit Behinderungen gekürzt.

Wegscheider warnte vor langfristigen Auswirkungen von
Benachteiligung und Segregation z. B. durch Sonderschule oder
Ersatzarbeitsmarkt sowie vor Zusatzkosten durch Sondersysteme und
fehlende Barrierefreiheit. Staatliche Sparvorgaben drohen Menschen
mit Behinderungen überdurchschnittlich zu treffen. Auch wenn Menschen
mit Behinderungen bei vielen Sparmaßnahmen nicht explizit genannt
werden, würden sie überproportional getroffen: durch Einsparungen bei
Familien-, Sozial-, Pflege- und Gesundheitsleistungen, bei
Arbeitsmarkt und Bildung.

Die UN-BRK verlangt, dass Budgetentscheidungen
menschenrechtskonform erfolgen müssen. „Budgetpolitik ist nicht
neutral, sondern menschenrechtlich gebunden. Auswirkungen auf
Menschen mit Behinderungen müssen mit Priorität mitgedacht werden“,
schloss Wegscheider.

Nussbaum (SPÖ): Lästig bleiben, damit es zu keinen
Verschlechterungen kommt

Verena Nussbaum (SPÖ) verwies auf geplante Verbesserungen im
Regierungsprogramm, etwa bei Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit
Behinderungen im öffentlichen Bereich. Im Gesundheitsbereich werde es
das One-Stop-Shop-Prinzip geben, damit man nicht mehr „von Pontius zu
Pilatus laufen muss, sondern sich an eine einzige Stelle wenden
kann.“ Nussbaum: „Ich bleibe lästig, dass es zu keinen
Verschlechterungen kommt, denn bei Sparpaketen ist immer die Gefahr,
dass Menschen mit Behinderungen besonders betroffen sind.“

Fiedler (NEOS): Inklusiver Arbeitsmarkt und Sozialversicherung
für Menschen mit Behinderung

„Das um und Auf ist aber ein inklusives Bildungssystem“, sagte
Fiona Fiedler (NEOS): „Die Sonderschulen sollten auch für Kinder ohne
Behinderung geöffnet werden. Es geht gemeinsam besser, und alle haben
etwas davon.“ Auch der Arbeitsmarkt müsse inklusiv werden: „In
Tageswerkstätten werden Menschen ausgebeutet, das ist untragbar für
eine Gesellschaft, der es so gut geht wie in Österreich. Lohn statt
Taschengeld muss endlich umfassend umgesetzt werden.“ Es brauche
sozialversicherungsrechtliche Absicherung, damit die Betroffenen in
Pension gehen können und nicht bis ans Lebensende in der Werkstätte
bleiben müssen.

Schallmeiner (Grüne): Föderalismus bremst gute Vorhaben aus

„Die föderale Struktur bremst uns bei allen guten Vorhaben völlig
aus“, meinte Ralph Schallmeiner (Grüne): „Man wird die Länder in die
Pflicht nehmen müssen.“ Er kritisierte, dass nicht alle Bundesländer
am Pilotprojekt des Bundes zur Ausbau der Persönlichen Assistenz
teilnehmen: „Persönliche Assistenz ist ein Punkt, wo vieles im Argen
liegt, weil die Länder nicht einmal bereit sind, das bereitgestellte
Geld abzuholen.“ Schallmeiner bekannte sich zur gemeinsamen
Anstrengung: „Regierungs- und Oppositionsparteien müssen an einem
Strang ziehen und im Behinderungs-Bereich stärker zusammenarbeiten
als in anderen Politikbereichen.“

(Von der ÖVP hat niemand die Einladung der Volksanwaltschaft zur
Diskussion wahrgenommen. Die Vertreterin der FPÖ musste sich
kurzfristig wegen eines familiären Notfalls entschuldigen.)

SERVICE: Die Präsentationen von Ursula Naue und Angela
Wegscheider finden Sie hier als Download:
https://www.volksanwaltschaft.gv.at/artikel/human-rights-first-trotz-
sparpaket-menschen-mit-behinderungen

Die Tagungsbände zu früheren NGO-Foren der Volksanwaltschaft (
Soziale Grundrechte, Armut, Kinderrechte) finden Sie hier:
https://www.volksanwaltschaft.gv.at/berichte-und-pruefergebnisse#
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