Wien (OTS) – Die 2010er Jahre waren ein rasantes, ein aufregendes
Jahrzehnt. Das
„Smartphone“ hielt Einzug in die Hosentaschen der Österreicherinnen
und Österreicher und veränderte fast alle Lebensbereiche – in der
Freizeit, in der Arbeitswelt, in der Politik. Politische Karrieren
begannen mit Social-Media-Kampagnen, politische Skandale mit dem
Leaken geheimer Chat-Nachrichten. Alle konnten immer live dabei sein,
beim Song-Contest-Sieg Conchita Wursts genauso wie bei der Situation
an den Grenzen im Sommer 2015, bei Sportereignissen ebenso wie bei
politischen Skandalen. Im Rahmen des ORF-Schwerpunkts „80 Jahre
Zweite Republik“ (Details unter presse.ORF.at) zeigt Gregor
Stuhlpfarrer in seiner Analyse der 2010er Jahre am Donnerstag, dem
22. Mai 2025, um 21.05 Uhr in ORF 2 und auf ORF ON, dass viele
Themen, die heute den öffentlichen Diskurs bestimmen, ihren Ursprung
im vergangenen Jahrzehnt haben. „Die 2010er Jahre – Die Welt in der
Hosentasche“, der zehnte Teil der ORF-Serie „Jahrzehnte in Rot-Weiß-
Rot“, komplettiert die österreichische Jahrhundertgeschichte von den
1920er Jahren bis in die jüngste Geschichte.
2011 gehen die Wogen hoch. Der Nationalrat beschließt, eine Zeile der
Bundeshymne zu ändern. Österreich ist nicht mehr nur ein Land der
„großen Söhne“, sondern auch der „großen Töchter“. Als die Formel 1
2014 in Österreich Station macht, singt Andreas Gabalier die Hymne
vor einem Millionenpublikum in der alten Version. „Ich werde sie so
singen, wie ich sie gelernt habe“, kündigte der populäre Sänger
bereits im Vorfeld an. Die ÖVP-Abgeordnete Maria Rauch-Kallat
entgegnet live im TV-Studio, dass Andreas Gabalier doch auch gelernt
habe, seine „Schließmuskel zu beherrschen“ und nicht mehr in die
Windel zu machen. Daher sei von ihm auch zu erwarten, Texte neu zu
lernen.
2014 gewinnt Conchita Wurst den Eurovision Song Contest – mit einer
Bühnenfigur, die sich traditionellen Geschlechterkonzepten entzieht.
Das Siegerlied „Rise Like A Phoenix“ wird zu einer Hymne der Toleranz
für ganz Europa – während Österreichs Öffentlichkeit weiter darüber
diskutiert, ob in der Bundeshymne „Töchter“ genannt werden sollen.
Einige Jahre später erschüttern die Aussagen von Schauspielerinnen
das Film-Business, auch in Österreich wird sexualisierte Gewalt im
Rahmen der „MeToo“-Bewegung breit thematisiert. Über dieses Tabu wird
nun aber nicht nur im Film, sondern auch im Sport gesprochen: Nicola
Werdenigg erzählt, dass sie als junge Skirennläuferin vergewaltigt
wurde: „Danach habe ich mich jahrelang schuldig gefühlt, schmutzig
gefühlt.“
„Es war eine dramatische Wende“, sagt Christian Kern im Rückblick auf
die Flüchtlingsbewegung im Sommer 2015. „Wir schaffen das!“ hatte die
deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel postuliert. „Das funktioniert
nicht!“, meint Sebastian Kurz im Interview für den Film. Unter dem
Smartphone-kompetenten jüngsten Parteivorsitzenden ihrer Geschichte
färbt sich die ÖVP türkis und gewinnt Wahlkämpfe mit dem „Ausländer-
Thema“. Die jahrzehntelange Geschichte der „Großen Koalition“ in der
Zweiten Republik ging in den 2010er Jahren zu Ende. Nicht mehr zwei
Großparteien, sondern drei Mittelparteien bestimmen jetzt die
Innenpolitik: ÖVP, SPÖ und FPÖ. 2017 geht Kurz in eine umstrittene
Koalition mit der FPÖ unter Heinz Christian Strache, mit einem
Innenminister Herbert Kickl, der Polizeipferde einführen möchte und
eine aufsehenerregende Hausdurchsuchung im Inlandsgeheimdienst BVT
durchführen lässt. Erstmals werden politische Absprachen über
Smartphone-Chats abgewickelt. Nach Beschlagnahmungen Jahre später
sollten Hunderte dieser Chat-Nachrichten öffentlich bekannt und zum
Skandal werden.
Fast 80 Prozent der Bevölkerung sind im Jahr 2019 im Besitz eines
Smartphones. Und im Mai 2019 läuft auf vielen Bildschirmen das „Ibiza
-Video“. Für die einen ein Beleg für Korruption und grenzenlose
Schamlosigkeit in der österreichischen Innenpolitik. Für
Bundespräsident Alexander Van der Bellen der Anlass für einen Appell:
„So sind wir nicht!“ Schauspielerin Nina Proll glaubt heute, mit
einigen Jahren Abstand, an das Gegenteil: „Natürlich wäre es schön,
wenn wir nicht so wären, aber leider sind wir so.“ „Rückblickend ist
man immer gescheiter,“ sagt Strache und ist mit seinem damaligen
Regierungskollegen Kurz bis heute nicht ausgesöhnt: „Er hat sein Wort
nicht gehalten.“ Strache behauptet, Kurz habe versprochen, dass die
Koalition aus ÖVP und FPÖ weitergeführt wird, wenn Strache
zurücktritt. Doch trotz Straches Rücktritt nach Veröffentlichung des
Ibiza-Videos lässt Kurz die Regierung platzen. Kurz heute dazu: „Es
stimmt, dass es unterschiedliche Optionen gegeben hat.“
Die Schauspielerinnen Nina Proll und Ursula Strauss, Ex-Manager
Christian Konrad, Snowboard-Olympiasiegerin Anna Gasser sowie die Ex-
Spitzenpolitiker Elisabeth Köstinger, Heinz-Christian Strache,
Christian Kern und Sebastian Kurz blicken zurück auf ein Jahrzehnt,
in dem Politik und Gesellschaft sich immer schneller im Strudel der
Social-Media-Kanäle und der Internet-Blasen drehen. Ein Jahrzehnt, in
dem Skandale, Affären und Umwälzungen scheinbar zur Normalität
wurden. Und das Smartphone den Menschen in Österreich das Gefühl gab,
die Welt in die Hosentasche stecken zu können.