Kompetenz statt Nutri-Score: Was Konsumenten wirklich hilft

Wien (OTS) – Wien, 30. Juni 2025 – Front of Pack-Labels (FOPLs)
werden oft
gefordert, zeigen aber in der Praxis wenig Wirkung. In Ländern, in
denen etwa der Nutri-Score eingeführt wurde, bleibt der Effekt auf
das Kaufverhalten gering. Zudem ist er wissenschaftlich umstritten.
Der Grund: Labels bewerten einzelne Lebensmittel losgelöst vom
Gesamtbild der Ernährung – ein Ansatz, den Fachleute ablehnen. Auch
das forum. ernährung heute (f.eh) fordert mehr Differenzierung:
„Konsumenten brauchen wirksame Maßnahmen, die ihre Eigenverantwortung
stärken und zu einem gesunden Lebensstil animieren. Die größten
belegten Effekte sehen wir bei der Aufmerksamkeit für Portionsgrößen.
Um dieses Bewusstsein zu fördern, braucht es gezielte Angebote.
Ebenso zentral sind Wissen und Kompetenzen in Ernährung und Bewegung.
Sie sind Voraussetzung dafür, dass Informationen wie FOPLs überhaupt
wahrgenommen und verstanden werden“, betont Marlies Gruber,
Geschäftsführerin des f.eh.

Verwirrend, intransparent, fehlende wissenschaftliche Grundlage
und Irreführung – die Kritik am Nutri-Score fällt insbesondere in
Ländern und von Unternehmen, von denen er bereits eingeführt wurde,
ernüchternd aus. Damit FOPLs einen Effekt erzielen können, braucht es
nämlich auch Begleitmaßnahmen und drei Voraussetzungen: die
Wahrnehmung und Akzeptanz des Labels, das Verständnis der
vermittelten Information und das entsprechende Kaufverhalten. Studien
zeigen: Nur etwa die Hälfte der Konsumentinnen und Konsumenten nimmt
FOPLs überhaupt wahr. Bei vertrauten Produkten sinkt die
Aufmerksamkeit noch weiter, hier überlagern Routinen die Etiketten.

Fehlendes Verständnis für Aussagekraft von Labels

Wissenschaftler sehen zwar den Vorteil des Nutri-Scores durch
seine farbliche Codierung, die beim Einkauf intuitiv verständlich
sein und eine schnelle Orientierung ermöglichen soll. Doch gerade
beim Verständnis offenbart das Nutri-Score-System Schwächen:

1. Kontext fehlt: Der Nutri-Score bewertet Produkte pro 100 Gramm
oder 100 Milliliter, berücksichtigt nicht, wie viel typischerweise
von einem Produkt gegessen oder getrunken wird, und ist damit ein
Modell, das keinen Kontext zu Mahlzeit, Portionsgröße oder Häufigkeit
bietet.

2. Vergleich innerhalb von Produktgruppen: Der Nutri-Score vergleicht
Pizza mit Pizza und Käse mit Käse. Der Nutri-Score hat keine
Aussagekraft über die Kategorien hinweg, was der Großteil der
Konsumenten nicht weiß. Jede zweite Person in Deutschland gab
Statista zufolge an, dass die Informationen nicht nachvollziehbar
sind.

3. Trügerische Signale: Eine bessere Bewertung als erwartet (zB
Kategorie D statt E) kann das Schuldgefühl senken – und dazu führen,
dass Menschen Produkte kaufen bzw. sogar eher kaufen, wie eine Studie
erst in diesem Jahr untersucht hat.

Trotz Label: 80 Prozent kaufen wie gewohnt ein

In Frankreich, Italien, Peru und den Niederlanden zeigten sich
durch FOPLs keine signifikanten Verhaltensänderungen. Rund 80 % der
Befragten gaben an, trotz Nutri-Score keine anderen Produkte zu
wählen. Eine Metaanalyse aus 2022 bestätigt: FOPLs allein
beeinflussen das Kaufverhalten kaum – insbesondere ohne begleitende
Information. Andere Maßnahmen – wie Stillen im Säuglingsalter oder
ein entspannter Umgang mit Lebensmitteln – sind laut einer neuen
mexikanischen Übersichtsarbeit deutlich wirkungsvoller gegen
Übergewicht.

Fazit: Wirkung von FOPLs wird überschätzt

„Ob FOPLs tatsächlich gesundheitsfördernd wirken, ist fraglich:
Nur rund die Hälfte nimmt sie wahr oder versteht sie richtig – und
das Kaufverhalten ändert sich kaum“, so Gruber. „Lebensmittel in
„gut“ und „schlecht“ zu unterteilen, greift zu kurz. Ernährung ist
mehr als das. Entscheidend sind Vielfalt, Portionsgrößen,
Konsumhäufigkeit, Bewegung, soziale Balance sowie kulturelle und
ökonomische Rahmenbedingungen.“ Und: Gerade für Menschen mit
niedrigerem sozioökonomischem Status ist der Preis das zentrale
Kaufkriterium. Deshalb betont Gruber: „Wissen und Kompetenzen sind
der Schlüssel für eigenverantwortliche Entscheidungen. Eine fundierte
Ernährungs- und Verbraucherbildung – vor allem in Schulen – ist ein
ganzheitlicher Ansatz, sozial gerecht und wirkungsvoll für Gesundheit
und Volkswirtschaft.“

Zur Literaturliste: https://www.forum-
ernaehrung.at/presse/kompetenz-statt-nutri-score