Gedenken an Flucht und Vertreibung: Veranstaltung im Parlament würdigt Beitrag der Heimatvertriebenen zur Zweiten Republik

Wien (PK) – Vor 80 Jahren wurden Millionen deutschsprachiger Menschen
– darunter
zahlreiche Altösterreicher aus den ehemaligen Kronländern der
Habsburgermonarchie – aus ihrer Heimat vertrieben. Das Parlament nahm
heute das Gedenkjahr zum Anlass für eine Vortragsveranstaltung, in
deren Zentrum das Schicksal jener stand, die nach dem Zweiten
Weltkrieg entwurzelt wurden und in Österreich eine neue Heimat
fanden. Dabei wurde nicht nur an persönliche Verluste und
Entbehrungen erinnert, sondern auch an die bedeutende Rolle, die die
Vertriebenen beim Aufbau der Zweiten Republik spielten.

Nationalratspräsident Walter Rosenkranz, eröffnete die
Veranstaltung und betonte die Verantwortung, die Österreich und auch
das Parlament für die Wahrung des Erbes der Vertriebenen haben. Einen
wissenschaftlich-historischen Überblick bot Florian Kührer-Wielach,
Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte
Südosteuropas an der LMU München, in seinem Vortrag „80 Jahre Flucht
und Vertreibung – europäische und österreichische Perspektiven“. Er
analysierte die historischen Kontexte und plädierte für eine
differenzierte Aufarbeitung, ohne in die „Kollektivismus-Falle“ zu
tappen. Der ehemalige deutsche Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende
des Stiftungsrates der Stiftung Verbundenheit, Hartmut Koschyk,
erläuterte in seinem Beitrag den Umgang mit Vertriebenen in Ost- und
Westdeutschland. Abschließende Dankesworte kamen von Rüdiger Stix,
Bundesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich.
Durch die Veranstaltung führte Norbert Kapeller, Präsident des
Verbands der deutschen altösterreichischen Landsmannschaften in
Österreich (VLÖ).

Rosenkranz: Vertriebene leisteten unschätzbaren Beitrag zur
Zweiten Republik

In seine Eröffnungsworten erinnerte Nationalratspräsident Walter
Rosenkranz an die Vertreibung, Gewalt und Entmenschlichung, die sich
etwa in Form des „Brünner Todesmarsches“ mitten im Herzen Europas
vollzogen habe. Das Gedenken daran sei zugleich als Auftrag zu
verstehen und das Parlament biete sich dafür als „symbolträchtiger
Ort“ an. So fänden sich im Bundesratssaal nicht nur die Wappen der
neun Bundesländer, sondern auch jene der ehemaligen Kronländer, die
an eine Verantwortung erinnerten, die über die Staatsgrenzen
hinausgehe. Wer die Vertreibungen als Völkerrechtsbruch benenne,
betreibe keine Spaltung, sondern diene der Wahrheit, so Rosenkranz –
und diese sei Grundlage für die Versöhnung und den Blick in die
Zukunft. Es gebe keine gerechte Vertreibung, keine legitime
Kollektivschuld und keine Ausgrenzung, die mit der Freiheit vereinbar
wäre.

Als „besonders bedrückend“ bezeichnete er, dass das Schicksal der
Vertriebenen, die einen „unschätzbaren Beitrag zur Zweiten Republik“
geleistet hätten, kaum zum Gegenstand der Forschung geworden sei. Das
Parlament nehme seine Verantwortung wahr und werde, etwa durch die
dauerhafte Sichtbarmachung in der Bibliothek, mit der
wissenschaftlichen Aufarbeitung des Schicksals und des Wirkens der
Vertriebenen beginnen, so Rosenkranz.

Kührer-Wielach plädiert für eine differenzierte Aufarbeitung ohne
„Opferkonkurrenz“

Florian Kührer-Wielach lieferte einen Abriss der neueren
Geschichte der Verfolgung von Minderheiten in Mitteleuropa, die
bereits vor dem Ersten Weltkrieg etwa in Folge der Balkankriege mit
der „Wahnidee ethnonationaler Homogenität“ begonnen habe. In der
Zwischenkriegszeit sei der Druck auf Minderheiten stetig gestiegen
und schließlich etwa in der systematischen „Umvolkung“ in Folge des
Hitler-Stalin-Pakts kulminiert. Die umfangreichen Umsiedelungen von
Volksdeutschen „Heim ins Reich“ hätten sich keineswegs immer
freiwillig vollzogen. Nach 1945 habe die „grausame Logik des
Kollektivismus“ schließlich mit den Vertreibungen und der Deportation
Deutschsprachiger erneut zugeschlagen, wie Kührer-Wielach erklärte.
Bei den sogenannten „wilden Vertreibungen“ habe es sich um
„gewaltsamste Entladungen der Vergeltung“ unter den Augen der Sowjets
gehandelt. So wie der Nationalsozialismus alle pauschal zur
Volksgruppe zusammengefasst habe, seien sie nun auch pauschal
bestraft worden. Dies habe etwa die Tschechoslowakei betroffen, aber
auch Jugoslawien, wo Titos Partisanen alle Donauschwaben kollektiv zu
„Volksfeinden“ erklärt hätten.

Schließlich habe mit der Flucht nach Österreich das „zähe Ringen
um Integration“ begonnen, erläuterte Kührer-Wielach, wobei es
zunächst nur um „blankes Überleben“ gegangen sei. In einer
gesellschaftlichen „Gemengelage aus politischem Unwillen und
strategischem Verdrängen“ sei den Vertriebenen in Österreich auch
viel Hass entgegengeschlagen. Erst ab den 50er-Jahren habe ein
schrittweiser Gleichstellungsprozess begonnen. Die Aufarbeitung des
Schicksals der Vertriebenen sei noch lange vom politischen Wunsch
getrieben gewesen, einen „Schlussstrich“ zu ziehen, wie Kührer-
Wielach anhand von Parlamentsreden illustrierte. Er plädierte jedoch
für eine differenzierte Aufarbeitung des „epochalen Kulturbruchs“ der
Vertreibungen, getragen von Empathie, Selbstreflexion und ohne in die
„Kollektivismus-Falle“ zu tappen. Dies sei die Aufgabe der
nachfolgenden Generationen, so Kührer-Wielach. Für „Opferkonkurrenz“
und ein „gegeneinander Ausspielen der Katastrophen“ sei hingegen kein
Platz.

Koschyk: Standortbestimmung Deutschland

Hartmut Koschyk erläuterte die Geschichte des Umgangs
Deutschlands mit den Vertriebenen. Auch dort sei ihr Schicksal
oftmals ausgeblendet worden. Dies gelte besonders für die sowjetische
Besatzungszone und spätere DDR, wo anstatt von Vertriebenen von
„Umsiedlern“ gesprochen worden sei, um die „sozialistischen
Bruderstaaten nicht an ihre Untaten zu erinnern“ und damit zu
brüskieren. Es habe „klarer Assimilationszwang“ geherrscht und es
seien kaum soziale oder wirtschaftliche Maßnahmen im Sinne der
Vertriebenen gesetzt worden.

Anders habe sich die Situation in der Bundesrepublik Deutschland
dargestellt, erklärte Koschyk. Auch im Vergleich zu Österreich habe
hier die Politik allein aufgrund der hohen Zahl an Vertriebenen einen
anderen Umgang pflegen müssen. Zu den 9 Millionen Vertriebenen bis
1050 seien noch 4,5 Millionen Aussiedler bis in die 2000er Jahre
gekommen. Neben politischen Maßnahmen wie dem
Bundesvertriebenengesetz und dem Lastenausgleichsgesetz hätten die
Vertriebenen im Rahmen eines reichen Verbandswesens vor allem selbst
für ihre Integration gesorgt, wie Koschyk ausführte. Eine Zäsur habe
schließlich die Wiedervereinigung dargestellt, in deren Rahmen sich
Gesamtdeutschland verpflichtet habe, auch das gesamte deutsche
Kulturerbe zu wahren. Die Vertriebenen in der ehemaligen DDR hätten
als „moralische Geste“ nun auch den Lastenausgleich erhalten, der
vorher nur in Westdeutschland ausgezahlt worden sei. Schließlich
finde sich auch im aktuellen deutschen Koalitionsvertrag zwischen
CDU/CSU und SPD ein „klares Bekenntnis“ zur Bewahrung des Erbes der
Vertriebenen, so Koschyk (Schluss) wit.

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung sowie eine Nachschau auf
vergangene Veranstaltungen finden Sie im Webportal des Parlaments .